Verfall von nicht verbrauchtem Urlaub?

EU's top court rules workers can claim compensation for untaken holidays

Workers are entitled to paid leave and can claim compensation if they are not allowed to take their holidays, the EU’s highest court has ruled.

Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 29.11.2017 – Rs. C-214/16) verfallen Ansprüche auf bezahlten Urlaub dann nicht, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub aus Gründen, die in der Verantwortung des Arbeitgebers liegen, nicht nehmen konnte. Eine Begrenzung des Übertragungszeitraums sei nicht erforderlich.

Ein Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, nicht ausgeübte Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub zu übertragen und anzusammeln, wenn der Arbeitgeber ihn nicht in die Lage versetzt, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben

Das Unionsrecht verbietet es, einen Arbeitnehmer dazu zu verpflichten, Urlaub zu nehmen, ehe er feststellen kann, ob er für diesen Urlaub Anspruch auf Bezahlung hat.

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH vom 29.11.2017 – Rs. C-214/16 King) stärkt die Rechte der Arbeitnehmer und Scheinselbständigen in Bezug auf den Urlaubsanspruch und erteilt dem diesbezüglichen Verjährungseinwand eine Absage.

Dem Urteil des EuGH lag ein Fall aus Großbritannien zugrunde, in welchem ein Mann 13 Jahre lang auf Provisionsbasis – also nicht als echter Dienstnehmer - tätig war. Die Zusammenarbeit war als selbstständiges Dienstverhältnis bezeichnet, so dass dem Mann sein Urlaub, wenn er ihn nahm, nicht bezahlt wurde. Als der Mann in den Ruhestand ging, forderte er von seinem Arbeitgeber für die vergangenen 13 Jahre eine Bezahlung sowohl für den genommenen, aber nicht bezahlten, als auch für den nicht genommenen Urlaub.

Das britische Arbeitsgericht kam zu dem Ergebnis, dass der Mann Arbeitnehmer war und deshalb Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gehabt habe. Fraglich blieb aber, ob der Mann seinen Urlaub hätte nehmen müssen, um feststellen zu lassen, ob er Anspruch auf Bezahlung hatte und ob seine Urlaubsansprüche verfallen waren. Zur Klärung dieser Fragen rief das britische Arbeitsgericht den EuGH an.

Die Luxemburger Richter urteilten in Bezug auf die erste Frage, dass es einen Verstoß gegen das EU-Recht darstelle, wenn ein Arbeitnehmer seinen Jahresurlaub erst nehmen muss, um hierdurch festzustellen, ob er für diesen Urlaub auch Anspruch auf eine Bezahlung hat. Ansonsten würde der Sinn und Zweck des Jahresurlaubs verloren gehen. Dieser liegt in einer Erholung, die aber dann ausgeschlossen ist, wenn der Arbeitnehmer nicht weiß, ob er seinen Urlaub vergütet bekommt. Dieser Begründung des EuGH ist zuzustimmen, insbesondere da nach Art. 7 der Arbeitszeitenrichtlinie  jedem Arbeitnehmer ein Anspruch auf einen bezahlten Mindesturlaub von vier Wochen zusteht.

Die Antwort des EuGH auf die zweite Frage war hingegen überraschend, zumal er darin seine Rechtsprechung hinsichtlich der Begrenzung des Übertragungszeitraums bei langfristig erkrankten Arbeitnehmern für nicht anwendbar erklärte. Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass die Ansprüche des Mannes nicht verfallen waren. Dies begründete er damit, dass der Arbeitgeber von der Situation profitierte, da der Arbeitnehmer, anders als im Falle einer Krankheit, nicht abwesend war.

Das Urteil des EuGH könnte weitreichende Folgen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Problematik der Scheinselbstständigkeit hinaus haben.

Wesentlich war für das Gericht in diesem Fall, dass der (vermeintlich selbständige Werkvertragsmitarbeiter) tatsächlich Dienstnehmer war und keine Gelegenheit hatte, den bezahlten Urlaubsanspruch in natura zu verbrauchen. Er hat seine Ansprüche als Geldersatz erst nach Beendigung des Vertragsverhältnisses geltend gemacht. Laut EuGH dürfen solche Ansprüche dann nicht erlöschen.

Es ist aus diesem Urteil meines Erachtens aber nicht grundsätzlich ableitbar, dass die österreichische gesetzliche kurze zweijährige Verjährungsfrist des § 4 Abs 5 UrlG grundsätzlich unzulässig wäre.

In Hinkunft ist jedoch besonders genau darauf zu achten, dass der Dienstgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflicht seine Mitarbeiter nachweislich und ausdrücklich darauf hinweist, dass die offenen Urlaube zu verbrauchen sind.

Dies deshalb, damit bei Beendigung des Dienstverhältnisses der Dienstnehmer nicht behaupten kann, dass er aus Gründen, die beim Dienstgeber gelegen sind, den Urlaub nicht verbrauchen konnte.

Aus dem Urteil ist nämlich schon ableitbar, dass die Bestimmung des § 10 Abs 3 UrlG, wonach keine Urlaubsersatzleistung für verjährten vorvergangenen Urlaub gebührt, einschränkend zu lesen ist, sohin nicht gilt, wenn der Dienstgeber die Nichtinanspruchnahme zu vertreten hatte.

Diese Ansprüche bestünden dann für die gesamte Dauer des Dienstverhältnisses und könnten so Beweisschwierigkeiten auf Seiten des Dienstgebers entstehen, denen im Vorfeld durch klare Dokumentation zu begegnen ist.

Hinsichtlich der grundsätzlichen Verjährungsfrist ist auf § 1486 Z 5 ABGB zu verweisen, der für Dienstnehmeransprüche die kurze dreijährige Verjährungsfrist vorsieht. Darüberhinaus besteht in den einschlägigen Kollektivverträgen oftmals eine Verfallsfrist, die meines Erachtens weiter zu beachten wäre.